"Information im Überfluss ist wertlos"

Öffentlichkeitsarbeit aus der Sicht des Top-Managements von Michael Pohr*

Michael Pohr, communication-collegeWir leben in bewegten Zeiten. Grenzen fallen politisch, wirtschaftlich und sozial. Hermetisch abgeschlossene, streng von oben nach unten durchorganisierte Systeme haben sich endgültig als nicht lebensfähig erwiesen. Hierarchien werden abgeflacht, betriebswirtschaftliche Grössen neu definiert, der Faktor Kommunikation rückt in den Mittelpunkt. An die Stelle von Information ist Dialogik getreten. Transparenz und Offenheit sind Schlüsselkompetenzen unternehmerischen Erfolges geworden. Der Arbeitsbereich Öffentlichkeitsarbeit in Unternehmen oder heute Unternehmenskommunikation (engl. Corporate Communications) genannt ist eine kommunikative Schaltstelle in unseren Unternehmen und spielt eine zentrale Rolle. Die Wichtigkeit dieser Rolle kann nicht genug betont werden.

Zu oft zu werblich

Wie bewerten wir nun die Unternehmenskommunikation? Die Rolle der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist in der Fachwelt unbestritten, in der Unternehmensrealität aber zeigt sich noch ein enormer Umsetzungsbedarf. Organisatorisch wird der Bereich Öffentlichkeitsarbeit nach wie vor oftmals dem Bereich Marketing "angehängt", fachlich haben die Öffentlichkeitsarbeiter und - arbeiterinnen noch häufig eine zu starke Werbe-Schlagseite. Eine derartig unselbstständige und verkaufsförderungsfixierte Öffentlichkeitsarbeit kann nicht erfolgreich agieren. Sie wird Ihr Ziel, "Das Image des Unternehmens nach innen und aussen positiv zu gestalten und zu verändern", nicht erreichen. Mehr noch, sie wird ein Bild vom Unternehmen zeichnen, das im heutigen kommunikativen Kontext Wettbewerbsnachteile mit sich bringen wird.

Deshalb müssen wir Zeichen aus den Unternehmen senden und dem Bereich Öffentlichkeitsarbeit Führungsfunktion zuweisen.

Schauen wir etwas über unseren Tellerrand hinaus und betrachten die Presse und PR-Landschaft allgemein. Public Relations sind zu einer Hauptaufgabe für die Unternehmen geworden. Dies hat nicht etwa mit einer überraschenden Neuorientierung strategischer Öffentlichkeitsarbeit zu tun, sondern vielmehr mit der verstärkten Rückbesinnung auf die meist vergessene passive Bedeutung des Begriffs Public Relations: die ständige Existenz der Beziehungen zwischen Öffentlichkeit und Unternehmen. Ob es dem Unternehmen recht ist oder nicht: Public Relations müssen nicht erst geschaffen werden, sie sind vorhanden. Oder um es mit dem bekannten Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick allgemein gültig auszudrücken: Man kann nicht nicht kommunizieren. Sein Axiom beruht auf der Überlegung, dass immer Beziehungen zwischen Kommunikatoren bestehen, auch wenn keine bewussten sprachlichen Signale ausgesendet werden. Das Unternehmen kommuniziert also ständig, auch wenn es aktiv nichts dazu beiträgt. Welche Chance und welche Macht stecken in diesen Erkenntnissen für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit! Sie werden noch deutlicher, wenn wir mit Watzlawicks Überlegungen ein Stück weitergehen. Nach Paul Watzlawick ist Wirklichkeit lediglich ein Resultat von Kommunikation. Auf das Unternehmen übertragen bedeutet das, dass eine Unternehmenswirklichkeit gar nicht existiert, sondern nur Auffassungen dieser Wirklichkeit. Sie fallen je nach Zugehörigkeit und Standort des jeweiligen Betrachters unterschiedlich aus. So hat man aus einer leitenden Funktion heraus eine gänzlich andere Auffassung der Unternehmensrealität (das Selbstbild) als eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter auf einer anderen hierarchischen Ebene oder ein Wirtschafts- bzw. Lokaljournalist, der das Unternehmen von aussen betrachtet (als Fremdbild). Öffentlichkeitsarbeit als strategisch aufgebaute Kommunikation kann Selbstbild und Fremdbild in Übereinstimmung bringen. Einstellungsveränderung erzeugen, ein nach allen Seiten positives Image aufbauen und erhalten. Eine Entscheidung für oder gegen Public Relations kann es demnach nicht geben. Keine Öffentlichkeitsarbeit ist letztlich schlechte Öffentlichkeitsarbeit. Es gilt also, sie verantwortungsvoll zu gestalten und ihr einen eigenständigen und führenden Platz im Unternehmen zu geben.

Unternehmensbarometer

Werfen wir einen näheren Blick auf die Gestalter selbst. Sie müssen eine nicht leichte Doppelrolle ausführen. Einerseits sind sie Anwalt für das Unternehmen gegenüber dem gesellschaftlichen Umfeld, zum anderen sind sie Barometer des öffentlichen Klimas vor dem eigenen Auftraggeber. Kompetenz und Glaubwürdigkeit sind wichtige Voraussetzungen für die Wahrnehmung dieser Doppelrolle. Denn nur als glaubwürdiger Ansprechpartner für die verschiedenen internen und externen Gruppen lassen sich die gesteckten Ziele wirksamer Kommunikation dauerhaft verwirklichen. Dazu gehört auch, dass Öffentlichkeitsarbeiter mehr Selbstbewusstsein zeigen. Das gilt nach innen in Richtung des Unternehmens, das gilt nach aussen in Richtung Journalisten, Politikern oder kritischen Bevölkerungsgruppen. Ohne dieses Selbstbewusstsein wird die Karrikatur des Öffentlichkeitsarbeiters als Erfüllungsgehilfe, Weisswäscher, Frühstücksdirektor, Sektglashalter noch weiter Konjunktur haben. Der Dialog mit den Öffentlichkeiten bedarf ausserdem der Kontinuität. Wieder ein kleiner Fingerzeig auf die bereits angeführten Kommunikationskonzepte. Sporadischen PR-Aktivitäten wird nur wenig Glaubwürdigkeit entgegengebracht, weil sie sich meistens auf Unternehmens-Hurra beschränken. Und der wird in unserem heutigen gesellschaftlichen Umfeld, das bestimmten Technologien das permanente Akzeptanz-Fragezeichen aufdrückt, misstrauisch beäugt. Was wir brauchen, sind Öffentlichkeitsarbeiter, die sich persönlich mit dem Unternehmen identifizieren, die unternehmenspolitische Verantwortung übernehmen, aber die sich auch kritisch der öffentlichen Diskussion stellen. Noch mal: Das ist keine leichte Aufgabe. In einem Beitrag einer Frankfurter Tageszeitung wurde eine Umfrage bei amerikanischen Unternehmen beschrieben. Darin wird die Informationsaufgabe nach aussen als eine der unangenehmsten unternehmerischen Aufgaben angesehen. Sicherlich überrascht dieses Ergebnis, weil Amerikanern doch gemeinhin eine grosse Easyness im Umgang mit Medien zugeschrieben wird. Ein gespanntes Verhältnis, ein Manko an gegenseitigem Vertrauen zwischen Wirtschaft und Medien sind hier wie dort die Ursache. Sie kann nur behoben werden durch eine kontinuierliche, offene und kompetente Kommunikationspolitik von Seiten des Unternehmens. Nur wer faire und offene Informationen aussendet, kann auch in Problemfällen mit einer fairen Berichterstattung rechnen. Die Pflege des öffentlichen Vertrauens durch langfristig angelegte Kommunikationskonzepte und kompetente Öffentlichkeitsarbeiter ist der beste Garant dafür, dass eine Krise das Image des Unternehmens nicht erschüttert. Die Liste von Beispielen für dilettantische Konfliktbewältigung und damit dilettantische PR-Arbeit ist lang, aber es gibt auch genügend positive Beispiele. Die alte PR-Zauberformel "Tue Gutes und rede darüber" hat wohl endgültig ausgedient. Offenheit, offensives und selbstkritisches Handeln und ethische Verantwortung sind heute das Fundament einer erfolgreichen PR-Arbeit. Hohe Ansprüche an den PR-Fachmann und die PR-Fachfrau.

Keine linientreuen Apparatschiks

Professor Oeckl, der Pionier in der deutschen PR-Landschaft beschreibt diese Ansprüche wie folgt: Der PR-Fachmann muss nicht nur Kommunikationstechniker, sondern auch eine Persönlichkeit mit moralischen Wertvorstellungen sein. Und nicht zuletzt: Er sollte ein innerlich wie äusserlich freier Mensch sein und bleiben, kein gehorsamer und linientreuer Apparatschik. Er muss Kreativität und Fantasie entwickeln und - wenn nötig - auch Kampfgeist haben, konstruktiv immer Neues denken und auch danach handeln. Das heisst natürlich nicht, dass er nicht uneingeschränkt loyal zu seinem Auftraggeber steht, auch wenn er kein willfähiger "Ja-Sager" sein darf ..."

In meinen bisherigen Ausführungen habe ich die Wichtigkeit von PR in erster Linie mit den externen Öffentlichkeiten von Unternehmen in Verbindung gebracht. Genauso wichtig ist jedoch die Bedeutung von Öffentlichkeitsarbeit für die internen Öffentlichkeiten. Auch hier lauten die Schlüsselbegriffe Offenheit, Glaubwürdigkeit und Kompetenz. Ein Unternehmen kann nur erfolgreich operieren, wenn seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen motiviert sind, sich mit Überzeugung und Schwung für ihre Aufgaben engagieren. Dreh- und Angelpunkt von Mitarbeitermotivation ist eine offene Kommunikation im Unternehmen. Nur informierte Mitarbeiter können vernünftig mitreden, kompetente Vorschläge einbringen, fühlen sich einbezogen und erstgenommen. Das Unternehmen IBM untersuchte den Zusammenhang zwischen Kommunikation und Motivation und fand heraus: Je stärker in einer Abteilung kommuniziert wird, desto höher ist die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit ihrer Führungskraft, ihrer Arbeit, mit dem Unternehmen insgesamt. Eine offene Kommunikationskultur im Unternehmen hat jedoch nicht nur den humanitären Effekt der zufriedenen Mitarbeiter, sondern auch einen sehr ökonomischen. Offene Kommunikation senkt die Kosten. Höhere Zufriedenheit bringt mehr Engagement und damit effektiveres Arbeiten: Kommunikation verbessert die Zusammenarbeit, vermindert Reibungsverluste, Missverständnisse oder Parallelarbeiten. Somit ist Kommunikation ein Wettbewerbsfaktor geworden. Um nämlich im Wettbewerb die Nase vorn zu haben, taugen die traditionellen Methoden immer weniger. Produkte und Service konkurrierender Firmen gleichen sich einander an, eindeutige Differenzierungsstrategien zu finden wird immer schwieriger. Natürlich müssen die betriebswirtschaftlichen Abläufe perfekt funktionieren, aber die strategischen Wettbewerbsvorteile stecken im Human Capital, im Faktor Kommunikation.

Der Kreis schliesst sich. Wir leben in bewegten Zeiten. Die Öffentlichkeitsarbeiter können mit ihrer Arbeit viel bewegen.

* Michael Pohr war Vorstandsvorsitzender der ABB AG, Mannheim

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